No Grandi Navi! Kreuzfahrtschiffe in Venedig

Der Overtourism – also zu viel Tourismus konzentriert auf einem einzigen Fleck – ist in aller Munde. Seit 2017 kommen in den Medien immer wieder Berichte heraus, die über die durch Massentourismus entstehenden Probleme berichten. Vor allem in Barcelona und Venedig protestieren die Einwohner immer vehementer gegen den Ausverkauf ihrer Stadt und den Verlust ihrer Heimat.

Ein in diesem Zusammenhang großes Problem sind Kreuzfahrtschiffe. Seit vielen Jahren fahren die Meeresgiganten in die kleine Lagunenstadt über den Giudecca-Kanal ein und überschwemmen die Stadt mit Tagestouristen.

Warum ich nun über Venedig und die Kreuzfahrtschiffe schreibe, verdanke ich eigentlich meinem Bruder. Wir waren Ende Oktober für ein wunderbares Familienwochenende in der Lagunenstadt. Und bei unserem Versuch, am zweiten Urlaubstag den Sonnenaufgang in Dorsoduro einzufangen, haben wir ein Kreuzfahrtschiff gesehen, dass sich behäbig am Markusplatz vorbei in den Giudecca-Kanal ziehen hat lassen.

Ich verabscheue Kreuzfahrtschiffe. Ich verabscheue sie aus dem Grunde meines Herzens, obwohl ich noch nie auf einem war. Ich verstehe nicht, warum Menschen so viel Geld dafür bezahlen, sich in einem fahrenden Disneyland-Gefängnis einsperren und mit Abgasen vollblasen zu lassen. Und noch weniger verstehe ich, warum es erlaubt ist, dass diese Meeresungeheuer einer kleinen, fragilen Stadt wie Venedig so nahe kommen dürfen – Schiffe, die die zum Teil höher sind als der höchste Campanile der Stadt.

Und diese Meinung habe ich aus tiefster Seele kundgetan.
Und mein Bruder dazu: “Die Venezianer sind selbst schuld – sie haben diese Schiffe zugelassen, und jetzt beschweren sie sich.”

Tja, als jemand, der wirklich nicht gern von seiner Meinung ablässt, war ich ganz schön schockiert, darf ich sagen. Allerdings habe ich auch rasch festgestellt, dass meine Argumentation auf schwachen Füßen steht, weil ich einfach keine fundierte Ahnung habe. Also bin ich in Recherche abgetaucht und möchte euch hier zusammentragen, welche Probleme Venedig aus den Kreuzfahrtschiffen entstehen, und wie es damit weitergeht. 

Problem Nummer 1: Auswirkungen auf die empfindlichen Fundamente

Venedig sinkt ab. Das hat einerseits natürliche Gründe, andererseits tragen aber die starken, durch die schweren Schiffe verursachten Wellen einen großen Teil dazu bei. Forscher Luigi Tosi, Geologe am Forschungsinstitut ISMAR-CNR in Venedig, konnte beobachten, dass die größten Schäden dort entstehen, in denen der stärkste Schiffsverkehr herrscht.

Davon sind Motorboote natürlich nicht ausgenommen, man kann sich jedoch vorstellen, dass sich die Wellen eines Vaporettos gegen die Wellen eines Kreuzfahrtriesen ausnehmen wie Spielzeug.

Problem Nummer 2: Auswirkungen auf die gesamte Lagune

Auch hier spielen die starken Wellen eine problematische Rolle. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lagune um mehr als einen Meter vertieft. Das hat massive Auswirkungen auf die Dynamik des Wassers und gefährdet so nicht nur die Stadt, sondern auch die gesamte Biodiversität.

Problem Nummer 3: Luftverschmutzung

“Wie kann man sich auf einem Schiff einsperren lassen, dass die Luft so derartig verschmutzt?” frage ich mich.

“Warum lassen wir Schiffe in unsere Stadt einfahren, die unsere Luft verpesten?” fragen sich die Venezianer.

Es gibt viele Zahlen, die Kreuzfahrtschiffe mit PKWs vergleichen und grauenhafte Werte ausspucken. Das Ganze ist aber schwierig zu vergleichen. Denn “pro Tag” legt ein Kreuzfahrtschiff viele hundert Kilometer zurück, ein durchschnittlicher deutscher PKW aber nur 36. Und während der PKW durchschnittlich eine bis zwei Personen transportiert, sind es auf dem Kreuzfahrtschiff mehrere tausend.

Fakt ist dennoch – Kreuzfahrtschiffe sind furchtbare Luftverpester von Feinstaub über gesundheitsschädliche bis hin zu klimawirksamen Gasen. 2016 legten 529 Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Venedig an. Man kann sich vorstellen, dass das lufttechnisch nicht ohne Folgen bleibt.

Problem Nummer 4: Kreuzfahrttouristen bringen kaum Geld

Wenn 529 Kreuzfahrtschiffe 2016 1,6 Millionen Touristen nach Venedig gebracht haben, so klingt das nach hohen Umsätzen für die Lagunenstadt. Leider ist das nicht der Fall. Denn Kreuzfahrttouristen nächtigen nicht und speisen kaum in der Stadt.

Die Kreuzfahrtreedereien sehen das naturgemäß anders. Natürlich ist kaum zu erheben, wieviel Geld ein Kreuzfahrttourist tatsächlich ausgibt, dass es deutlich weniger ist, als ein Nächtigungsgast, ist aber klar.

Problem Nummer 5: Die Kreuzfahrtschiffe bringen weniger als sie kosten

Die vielen Millionen Euro, die die Kreuzfahrtschiffe nach Venedig bringen, übersteigen die Erhaltungskosten, meinen die Reedereien und die Politiker.

Unzählige Unwelt- und Substanzschäden sind nicht annähernd abschätzbar, meinen Forscher und Umweltaktivisten.
Außerdem: Die Venezianer, überspült von Tagestouristen, haben von dem Geld, das die Reedereien bezahlen, gar nichts. 

Was ist bisher passiert?

2012 wurde beschlossen, dass Kreuzfahrtschiffe über 40.000 Tonnen nicht mehr in die Lagune einfahren dürfen, sobald ein alternativer Kanal gebaut wurde. Dieser Beschluss wurde wieder aufgehoben, da er “wirtschaftliche Interessen bedrohe”, zudem wurde die alternative Route nicht gefunden.

2015 wurde Schiffen über 96.000 Tonnen die Einfahrt in die Lagune untersagt.

2016 drohte die Unesco damit, Venedig den Titel “Weltkulturerbe” abzuerkennen bzw. Venedig auf die Liste der gefährdeten Kulturgüter zu setzen, wenn keine Maßnahmen gegen den Overtourism getroffen werden. Dies wurde jedoch 2017 wieder abgeblasen.

Im Jahr 2017 fand ein Referendum, ausgerufen von der Initiative No Grandi Navi, statt, bei dem beinahe 20.000 Menschen über die Kreuzfahrtschiffe abstimmten. Über 98 % stimmten für ein Einfahrtsverbot der riesigen Schiffe in die Lagunenstadt.
Die Politiker sahen die Abstimmung als nicht bindend an, da nicht nur Venezianer, sondern auch Bewohner aus dem Umland ihre Stimme abgegeben hatten.

Wie geht es weiter?

Ende 2017 wurde eine neue Regelung verabschiedet. Ab 2020 sollen Schiffe über 55.000 Tonnen nicht mehr in die Lagunenstadt einfahren dürfen, sondern müssen in Marghera, einem Industriehafen, anlegen. Dafür wird ein eigener Anleger gebaut, der allerdings 2020 noch nicht fertiggestellt sein wird, d.h. es wird wohl eher Stück für Stück gehen als “alle ab 2020”.  Für die kleineren Schiffe wird ein bestehender Kanal umgebaut (um mehrere Meter vertieft).

Gegen diese Pläne protestieren die Umweltschützer von “No Grandi Navi” weiterhin, denn: Diese sehen vor, dass nach Marghera auch Schiffe mit mehr als 96.000 Tonnen durch die Lagune fahren dürfen, die eigentlich aus der Lagune verbannt sind. Und gerade sie verursachen am Meeresboden die größten Schäden.

Update 2025

Einige Jahre später bin ich am Überarbeiten dieses Blogposts und möchte euch ein Update geben, wie es weitergegangen ist.

Seit 1. August 2021 gilt ein von der italienischen Regierung beschlossenes Verbot, das es Kreuzfahrtschiffen mit mehr als 25 000 BRZ, einer Länge über 180 m oder einer Höhe über 35 m untersagt, durch das historische Zentrum der Lagune zu fahren, insbesondere durch den Canale della Giudecca, das Bacino di San Marco und den Canale di San Marco.

In Marghera gibt es aktuell immer noch kein fertiges Terminal für die Kreuzfahrtschiffe, sondern nur temporäre.

  • Im April 2025 wurden etwa 10 Hektar Land entlang des Nordkanals von der Hafenbehörde angekauft, um darauf das dauerhafte Kreuzfahrt-Terminal zu errichten. Gleichzeitig begann der Ausbau der Stromversorgung, die es den Schiffen erlaubt, während des Liegevorgangs ihre Motoren abzustellen und sich an das Landstromnetz anzuschließen (zur Umweltentlastung)
  • Parallel dazu wird im Porto‑Marghera‑Gebiet die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut. Laut Stand Juli 2025 sind die Straßen- und Schienenanbindungen bereits zu etwa 60 % fertiggestellt, das Projekt soll Ende 2025 fertiggestellt und Anfang 2026 fertig getestet sein.

 

Die aktuellen Forderungen von No Grandi Navi für Venedig:

(Auszug)

  • das sofortige Verbot von Kreuzfahrtschiffen mit mehr als 40.000 Tonnen in der gesamten Lagune
  • Durchführung von seriösen, unabhängigen Studien zur Kompatibilitätsschwelle von Kreuzfahrtschiffen mit der Lagune
  • die Installation eines Netzwerks von Geräten zur ständigen Überwachung der Luftqualität in Venedig und auf den umliegenden Inseln
  • die bindende Verpflichtung aller Schiffe, in der Lagune ausschließlich Kraftstoffe mit weniger als 0,1 % Schwefelgehalt und die neuesten Technologien zur Vermeidung von Emissionen einzusetzen, sowie Verwendung von Radargeräten ausschließlich bei Nebel

Klingt für mich persönlich nicht unvernünftig, was meint ihr?

 

Ich habe versucht, mich durch die vielen Berichte so gut wie möglich durchzulesen und entschuldige mich, falls ich etwas falsch dargestellt haben sollte 🙂 

Quellen:

http://www.nograndinavi.it

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kreuzfahrtschiffe-in-venedig-wellen-flut-abgase-und-absacken-a-933327.html

https://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Wie-Venedig-gegen-Ozean-Riesen-kaempft-id39327557.html

https://www.zeit.de/2017/36/kreuzfahrtschiffe-co2-ausstoss-dreck

https://www.swp.de/panorama/venedig-sehen_-aber-mit-abstand-23441759.html

https://kurier.at/chronik/weltchronik/der-albtraum-von-venedig/277.889.639

https://www.pressreader.com/austria/salzburger-nachrichten/20170620/281479276411013

https://www.nachrichten.at/nachrichten/weltspiegel/Kreuzfahrtriesen-werden-aus-Venedig-verbannt;art17,2729385

https://www.sueddeutsche.de/reise/verbot-fuer-kreuzfahrtschiffe-keinen-gruss-mehr-an-die-kueste-1.1298572

https://www.n-tv.de/panorama/Venezianer-wollen-Riesenkreuzer-loswerden-article19902215.html

http://www.spiegel.de/reise/europa/venedig-weltkulturerbe-im-ausverkauf-a-1177535.html

Venedig verbannt grosse Kreuzfahrtschiffe aus dem Zentrum – Kreuzfahrt Blog

Giudecca – Wikipedia

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